20. Kongress der Europäischen Gesellschaft für Organtransplantation

Arzt-Depesche 3/2021

Aktuelle und zukünftige Transplantationspraxis

Der vom 29. August bis 1. September 2021 ausgetragene ESOT- Kongress 2021 war wieder einmal die größte Zusammenkunft der Transplantationsgemeinschaft in Europa, bei der sich Kliniker, Chirurgen, Ärzte, Pflegepersonal sowie Wissenschaftler versammelten, um sich über die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Transplantation auszutauschen.
Ziel ist eine faire Verteilung von Gesundheit und Wohlbefinden
Eröffnet wurde der Kongress mit einer Sitzung, die sich mit verschiedenen Aspekten der ungleichen Behandlung von Patientinnen und Patienten im Gesundheitswesen sowie auch bei Transplantationen beschäftigte.
So verwies Prof. Michael Marmot, University College London, in seinem Vortrag darauf, dass soziale Gerechtigkeit und gesundheitliche Chancengleichheit in den letzten zehn Jahren im britischen Gesundheitswesen abgenommen haben und immer mehr Mängel zutage getreten sind. Letzteres trat während der Corona-Pandemie verstärkt zum Vorschein. Er appellierte an die Verantwortlichen, die Gesundheit als sozialen Erfolgsfaktor und die faire Verteilung von Gesundheit und Wohlbefinden als eine Zentralaufgabe der Regierungspolitik zu definieren.
Prof. Hannah Valantine, USA, ging in ihrem Vortrag zum Thema „Die genetische Vielfalt als Grund ungleicher Behandlung“ auf die immer noch herrschende Rassenungleichheit bei Erfolgen von Transplantationen (Tx) sowie auf die verschiedenen rassebedingten Risikofaktoren ein. In diesem Zusammenhang stehen auch Resultate einer Studie zu afrikanischen Nierentransplantatempfängern und Empfängern von Nierentransplantaten asiatischer Spender, die ein signifikant höheres Risiko eines Transplantatversagens innerhalb von sieben Jahren nach Tx aufwiesen.
Prof. Umberto Cillo und Dr. Luciano Potena, Italien, berichteten basierend auf Erfahrungen aus der Corona-Pandemie von Ungleichheiten beim Transplantationsmanagement und präsentierten einen Plan zur Behebung der Probleme. Dieser umfasste unter anderem die Analyse des Umfangs der Benachteiligungen in Ländern mit hohem Grundeinkommen sowie die Entwicklung von Programmen für ärmere Länder. Das Ziel sollte zudem sein, eine Selbstversorgung bei Organtransplantation zu erreichen, die Nachhaltigkeit von Tx zu verbessern sowie Entwicklung und Forschung mehr zu fördern.
 
Neue Endpunkte bei Transplantationen bestimmen
Prof. Euan Ashley, Stanford Universität in Kalifornien, ging in seinem Vortrag auf die Nutzung von „big data analysis“ im medizinischen Bereich ein und zeigte überzeugend, wie effektiv digitale Geräte und elektronische Patientenakten einsetzbar sind, um einen umfassenden aktuellen Einblick in die Behandlung von Patienten zu gewinnen. Anschaulich demonstrierte er, inwieweit Deep-Learning-Algorithmen Detektion und Analyse von Krankheitsmerkmalen ermöglichen, die aus menschlicher Sicht so nicht gewährleistet werden können.
Am Beispiel der Auswahl von passenden Allotransplantaten berichtete Dr. Alexandre Loupy, Paris, über die erfolgreiche Anwendung von auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierender Simulationstools und virtueller Systeme zur Verbesserung der Endziele bei Transplantationen.
In seinem Vortrag zur Definition neuer Endpunkte für zugeschnittene therapeutische Interventionen erklärte Prof. Marteen Naesens, Belgien, dass die größte Herausforderung bei der Entwicklung zielgerichteter Therapien und der Präzisionsmedizin darin besteht, einen Konsens zu finden. Er betonte zudem, dass in Zukunft der medizinische Fortschritt in erster Linie von den Patienten kommen wird und diese deshalb im Zentrum stehen sollten.
Eingehend auf ihre eigenen Erfahrungen als Herzinsuffizienz-Patientin und Herztransplantat- Empfängerin sprach Prof. Jillianne Code, Universität von British Columbia, Kanada, über Patientenperspektiven und die Arbeit der HeartLife Foundation. Sie unterstrich dabei wiederholend, dass im Vordergrund aller Bemühungen das Leben steht und nicht die Analyse von Misserfolgen.
 
Größenverhältnis zwischen Spender und Empfänger
Einige Studien untersuchten den Einfluss des Größenverhältnisses zwischen Spender und Empfänger bzw. ihrer Organe auf den Erfolg der Transplantation.
So wurde in einer Studie zu Lebertransplantationen (LTx) das Verhältnis der Körperoberflächen (BSA) von Spender und Empfänger (BSA index, BSAi) bestimmt und mit dem Erfolg der Transplantation verglichen. Es zeigte sich, dass ein Größen- Mismatch zwischen Spender und Empfänger die Rate an Pfortaderthrombosen, den Fortbestand eines Transplantats und das Überleben des Empfängers bei Transplantaten von verstorbenen Spendern beeinflusste. Als Sicherheitsspannen wurden BSAi-Werte > 0,85 und ≤ 1 in einem solchen Fall vorgeschlagen.
Auch bei pädiatrischen Nierentransplantationen ließ sich ein Einfluss der Größe von Spender und Empfänger auf den Erfolg der Tx nachweisen. So nahm die mediane Transplantatüberlebenszeit mit Zunahme des Gewichts und des BSA des Empfängers ab, während diese sich mit Zunahme des BSAi langsam verlängerte. Eine verzögerte Transplantatfunktion bei Lebendspenden wurde hingegen nur von der Größe und dem Gewicht des Empfängers beeinflusst, nicht jedoch vom BSAi. In einer Studie zur Untersuchung des Einflusses der Größe von zu transplantierenden Lungen bei Patienten mit Lungenfibrose zeigte sich ein signifikanter Effekt bei zu kleinen Lungen auf das Kurzzeitüberleben der Empfänger nach einer Doppel-Lungentransplantation.
 
Innovative Ideen geehrt
Mit dem Leonardo-Da-Vinci-Innovationspreis in der Transplantationsforschung wurden dieses Mal acht Arbeiten ausgezeichnet, die Ideen beschreiben und über Resultate berichten, die auf die Verbesserung des Transplantationserfolges ausgerichtet sind.
So gelang es in einem Mausmodell mithilfe von chimären mit HLA-A2(human leukocyte antigen A2)-Molekülen modifizierten T-Zellen anti-HLA-produzierende B-Zellen spezifisch zu eliminieren. Dieser Ansatz könnte in Zukunft zur Desensibilisierung von Transplantatempfängern eingesetzt werden, um so eine Transplantation zu ermöglichen oder eine Antikörper- getriggerte Abstoßung zu behandeln.
Daten einer weiteren Studie unterstreichen die zentrale Rolle der Antikörper-induzierten B-Zellen bei der humoralen Immunantwort sowie der Antikörper-bedingten Abstoßungsreaktion (ABMR) und führten dabei zur Identifizierung der IL-21/T-bet( Interleukin-21 / T-box Transkriptionsfaktor TBX21)-Achse als ein wichtiges neues therapeutisches Target.
Einer weiteren Forschungsgruppe gelang die Beschreibung einer effizienten Methode zum Einschleusen von therapeutischen Nanopartikeln, Monobodies (Mb), in Endothelzellen eines Nierentransplantats während der Ex-vivo-Perfusion, um somit das Transplantat widerstandsfähiger gegen Verletzungen zu machen und somit den Transplantationserfolg zu verbessern.
Darüber hinaus konnte in einem experimentellen Rattenmodel gezeigt werden, dass aus Leberstammzellen gewonnene extrazelluläre Vesikel (HLSC-EV) die Gefahr der Verletzung von Spenderlebern während normothermer Maschinenperfusion (NMP) reduzierten und die Regeneration des Transplantats unterstützten. In einer weiteren Studie wurde der Nachweis erbracht, dass man bei nierentransplantierten Patienten anhand von proinflammatorischen Zytokinen im peripheren Blut eine alloimmune Entzündungsreaktion ohne nachweisbare histologische Läsionen detektieren kann. Letzteres könnte die Histologie von Nierentransplantaten, als momentaner Goldstandard zur Identifizierung einer Alloimmunreaktion, infrage stellen.
Eine andere Herangehensweise zur Optimierung des Transplantationserfolges bestand in der Entwicklung eines auf KI basierenden Vorhersagesystems, das in der Lage ist, Abstoßungsreaktionen von Nierentransplantaten auf langfristige Sicht zu prognostizieren.
In einer praxisnahen Studie zu Diabetes mellitus nach Nierentransplantation (PTDM) konnte gezeigt werde, dass regelmäßige körperliche Aktivitäten nach einer Nierentransplantation signifikant zur Prävention von Prädiabetes und PTDM beitragen.
Eine italienische Studie widmete sich einem sehr aktuellen Thema. Dabei testete man während der Corona-Pandemie Patienten mit Leberzhirrose, die auf eine Lebertransplantation warteten, auf SARSCOV- 2-neutralisierende Antikörper, um so eine eventuelle Erweiterung des Donorpools zu erlangen. Auf diesem Weg konnten fünf SARS-CoV-2-RNA-positive Spender an fünf IgG-positive Empfänger vermittelt werden.
 
Organtransplantation der Zukunft
In einer zusätzlichen Sitzung über Transplantate der Zukunft wurde im Zusammenhang mit Xenotransplantationen näher auf Schweinetransplantate eingegangen. Diese betrachtet man als eine realistische Option, soweit stabile genetische Modifikationen der Spenderschweine, nicht nephrotoxisch wirkende immunsuppressive Therapien vorliegen, nachweislich Erfolge bei Gewebe- und Organtransplantationen erreicht werden können und eine Kontrolle des genetisch bedingten Organwachstums gewährleistet werden kann. Anhand von Forschungsresultaten lassen sich inzwischen anhaltende Erfolge bei orthotoper Herz-Xenotransplantation nachweisen, was eine klinische Nutzung immer näherrücken lässt. Als Beispiel der Herstellung von Gewebetransplantaten im Labor wurde eine Methode zur Herstellung von Nierenorganoiden vorgestellt. GH

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