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Arzt-Depesche 1/2017

Symptome durch immunologische Kreuzreaktivität beachten

Meistens verursachen Tumoren Symptome durch lokale Verdrängung oder Metastasen. Manchmal erlangen Krebszellen – auch wenn sie gar keine endokrine Differenzierung aufweisen – im Verlauf ihrer Entwicklung aber auch die Fähigkeit, bioaktive Substanzen zu sezernieren oder immunologische Kreuzreaktivität zu induzieren. Die daraus entstehenden Symptome subsummiert man unter „endokrinem paraneoplastischem Syndrom“ (PNS).

Hyperkalzämie
 
Die paraneoplastische Hyperkalzämie ist das häufigste PNS überhaupt und tritt bei etwa 10% aller fortgeschrittenen Tumoren auf. Sie stellt einen ungünstigen prognostischen Faktor dar, und die 30-Tages-Mortalität kann bis zu 50% erreichen. Die Hyperkalzämie tritt unabhängig von Metastasen oder einer veränderten Nebenschilddrüsenfunktion auf. In über 80% der Fälle resultiert die Tumor-Hyperkalzämie von einem paraneoplastisch sezernierten PTHrP (Parathormon-related Protein), seltener von ektopem Parathormon oder 1-25-Dihydroxy-Vitamin-D3.
Die Hormone wirken nicht nur auf Knochen, sondern auch auf andere Gewebe wie Haut, Hypophysenvorderlappen oder Brustdrüse. Meistens tritt eine PTHrP-Hyperkalzämie bei Plattenepithelkarzinomen oder kleinzelligen Lungenkarzinomen (SCLC) auf, in selteneren Fällen auch bei gastrointestinalen neuroendokrinen Tumoren (GI-NET), Phäochromozytomen oder Karzinoid-Tumoren. Bei nicht-endokrinen Neoplasien können Mamma- und Hodenkarzinome, bestimmte hämatologische Malignitäten (Multiples Myelom, Lymphome oder CLL) oder auch einmal ein Kolonkarzinom hinter einer Hyperkalzämie stecken. Therapeutisch ist der beste Ansatz, den zugrundeliegenden Tumor zu behandeln. Ist die Therapie nicht erfolgreich, kann man es mit Bisphosphonaten, gegebenenfalls mit Denosumab oder Cinacalcet probieren.
 
SIADH
 
Das Schwartz-Bartter-Syndrom oder Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH) ist charakterisiert durch eine hypoosmolare euvolämische Hyponatriämie und kommt bei etwa 1 bis 2% aller Malignitäten vor. Am häufigsten entsteht SIADH auf Basis eines SCLC, gelegentlich aber auch beim großzelligen Bronchialkarzinom (LCLC). Außerdem findet man es bei 2 bis 4% aller nicht-kleinzelligen Lungenkarzinome (NSCLC), sowie bei Prostata-, Mamma- oder Nebennierenkarzinom und Lungenkarzinoiden. SIADH beim SCLC ist mit einem erhöhten Risiko für ZNS-Metastasen, einem schlechteren Ansprechen auf Chemotherapie und mit fortgeschritteneren Tumorstadien assoziiert. Im hausärztlichen Setting ist jede Hyponatriämie per se mit einer erhöhten Gesamtmortalität und mit einem erhöhten Risiko für ein Malignom (besonders der Lunge oder im Kopf-Hals-Bereich) verbunden.
Bei rascher Entwicklung des SIADH kann es zu einem veränderten mentalen Status, zu Krämpfen, Koma, respiratorischem Versagen oder Tod kommen.
Den zugrundeliegenden Tumor zu behandeln, behandelt auch das PNS. Zusätzlich können ADH-Rezeptorantagonisten sinnvoll sein, auch in einer palliativen Situation des Patienten. Eine bessere weil bei chronischer Anwendung besser untersuchte Option könnte der V2-Rezeptorantagonist Tolvaptan darstellen. Besonders Patienten mit Lungenmalignomen könnten von dieser Option profitieren.
 
Cushing-Syndrom​
 
Geschätzte 10% aller Cushing-Syndrome sind paraneoplastischer Genese, wobei in etwa der Hälfte der Fälle ein bronchialer NET (Karzinoid, SCLC, selten LCLC) die Ursache ist. Manchmal findet man auch neuroendokrine Zellen im Thymus, oder Phäochromozytome, Paragangliome, Neuroblastome, Ovar- oder Prostatakarzinome. In einer aktuellen Studie lag zudem die Prävalenz von Cushing-PNS bei Thorax- und GEP-NET bei 3,2% (neuroendokrine Tumoren des gastro- entero-pankreatischen Systems). Ursache des Cushing-PNS ist die Überexpression von ACTH oder seltener von CRH (corticotropin-releasing hormone). Häufig dominieren klinisch die Symptome des Tumors wie Gewichtsverlust oder Elektrolytverschiebungen. Entsteht das Cushing-PNS aber zügig, kann es zu akutem Herzkreislaufversagen führen. Therapeutisch fokussiert man auf das Management der schweren metabolischen Störungen und der Hyperkortisolämie.
 
Raritäten
 
Neben den bereits erwähnten existieren noch weitere, in der Klinik selten vorkommende PNS. So kann eine PNS-bedingte Hypoglykämie durch Insulin-produzierende „Nicht-Inselzellen“ oder durch andere sezernierte Substanzen, die wie Insulin wirken, verursacht werden. Die Ursache dafür können mesenchymale Tumoren (Sarkome, GIST), Nieren- oder Ovartumoren, sowie NET, SCLC, Seminome, Teratome oder Choriokarzinome sein. ß-HCG-produzierende PNS führen zu Gynäkomastie oder Virilisierung. Andere, noch seltenere PNS, können Symptome verursachen wie: Akromegalie (u. a. bei NET oder Bronchialkarzinoiden), Hypertonus (u. a. SCLC, Paragangliome), ovarielles Hyperstimulationssyndrom (u. a. NET oder Karzinoide), Hyperprolaktinämie (u. a. SCLC, mesenchymale Tumore), Hyperthyroidismus ( u. a. ektope Hypophysenadenome), sekretorische Diarrhoe (u. a. SCLC, Phäochromozytom), Tumor- induzierte Osteomalazie (u. a. Prostataoder Kolonkarzinom), Ileus (Glomustumor) oder akute Entzündungsreaktionen. CB
Quelle:

Dimitriadis GK et al.: Paraneoplastic endocrine syndromes. Endocr Relat Cancer 2017; 24: R173-R190

ICD-Codes: E22.2 , E24.3

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