Der Kongresseröffnung und den einleitenden Grußworten des Kongresspräsidenten Dr. Johannes Horlemann, Präsident der DGS, und PD Dr. Michael A. Überall, Vizepräsident der DGS und Präsident der Deutschen Schmerzliga (DSL), folgte der Exzellenzvortrag von Prof. Giovanni Maio zum Thema „Sorge als identitätsstiftendes Element in der Schmerzmedizin“. Ausgehend von der Begrifflichkeit und Bedeutung des Schmerzes erklärte er die Bedeutsamkeit der Sorgekultur und dass diese über das rein Verrichtende hinausgehe. Er betonte, dass nur die Sorge als Teil der ärztlichen Tätigkeit eine gute Medizin ermögliche. In seiner Dankesrede zu dem an ihn verliehenen diesjährigen Deutschen Schmerzpreis erklärte er zudem, dass Zuhören als ein Teil der Therapie zu betrachten sei.
Neben der Versorgungsforschung wurden auch Themen der Palliativmedizin inklusive erster Ergebnisse einer Umfrage zum ärztlich assistierten Suizid angesprochen. PD Dr. Michael A. Überall präsentierte den Status quo (März 2023) der aktuell noch laufenden Online-Befragung zum Thema „Freiheit des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“. Von den 5.709 Teilnehmern der Umfrage – Gesunde, chronisch Kranke sowie Palliativpatienten – waren 90 % der Ansicht, dass jeder Mensch selbst entscheiden können sollte, wie und wann er seinem Leben ein Ende setzt. Nur 60 % waren dieser Meinung, wenn keine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt. Eine aktive Unterstützung für den eigenen Tod wünschen sich sieben von zehn Teilnehmern – und das aber in einer qualifizierten Einrichtung. Die auf die Präsentation folgende Diskussion unter den Experten und die verschiedenen Meinungsäußerungen zu dem Thema offenbarten noch zahlreiche offene Fragen und auch Unsicherheiten seitens der Mediziner hinsichtlich der Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs für assistierten Suizid und auch den Umgang mit diesem Thema in der Praxis.
In seinem Vortrag zum Einsatz von Opioiden bei Krebsschmerz ging Überall speziell auf langwirksame orale Opioide (LAOs) ein. Während Daten aus randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) schlussfolgern ließen, dass LAOs vergleichbar in ihrer Wirksamkeit und untereinander austauschbar sind, verwies er auf Praxisdaten aus dem Deutschen-Schmerz-E-Register, die belegen, dass orales Hydromorphon signifikant wirksamer ist als orales Morphium und Oxycodon. Er fasste zudem zusammen, dass 24-Stunden-Retardpräparate von Hydromorphon den herkömmlichen Retardpräparaten überlegen sind.
In einem seiner Vorträge führte Horlemann durch Neuerungen in den DGS-PraxisLeitlinien SchmerzMedizin – Tumorschmerz V3.0. In das Kapitel Patientenautonomie (PA) kam ergänzend hinzu, dass die PA grundsätzlich auch den ernsthaften Suizidwunsch des Patienten mit umfasst. Dabei bedarf die Suizidalität jedoch einer differenzialdiagnostischen Abgrenzung von Krankheitszuständen, die behandlungsfähig sind. Hinsichtlich der schmerzmedizinischen Diagnostik wurden nunmehr drei verschiedene diagnostische Ebenen hervorgehoben: Die Differenzierung zwischen chronischem und akutem Schmerz, zwischen nozizeptivem und neuropathischem Schmerz und zwischen organisch erklärbarem Schmerz und der Erlebensebene. Vorgeschlagen wurde die Anwendung des von der WHO im Februar 2019 entwickelten Fragebogens Brief Pain Inventory (BPI). Festgehalten wurde, dass die Tumorschmerztherapie weiterhin vorrangig mit Medikamenten erfolgt, wobei der orale Applikationsweg bevorzugt werden sollte. Falls die orale Aufnahme nicht möglich ist, kommt eine subkutane, transdermale und intravenöse Applikation zum Einsatz. Intramuskuläre Injektionen sind obsolet. Beim therapeutischen Vorgehen sollten feste Einnahmezeiten schriftlich erstellt und den Verlaufsveränderungen angepasst werden. Dabei sollte jeder Therapieplan ein Notfallmanagement in schriftlicher Form enthalten, der mit den Pflegenden und Angehörigen vorausschauend für den Einzelfall abgestimmt ist. Auf keinen Fall sollte ein Tumorschmerzpatient das WHO-Stufenschema sequenziell durchschreiten. Eine Ersteinstellung mit einem starken Opioid der WHO-Stufe 3 in niedriger Dosis ist möglich und kann die Auftitration erleichtern. In den DGS-Leitlinien wird bei Tumorschmerz nicht mehr zu Paracetamol, Acetylsalicylsäure und Codein als medikamentöse Option geraten. Bei der Therapieentscheidung sollte zudem neben der Wahl der Substanz auch die Qualität der Galenik mit einbezogen werden. Im Rahmen komplementärmedizinischer Verfahren wurde Akupunktur für auf Opioide eingestellte Tumorpatienten sowie Entspannungsverfahren und Bewegungstherapie als additive Therapieoptionen zur Behandlung von Tumorschmerz neu erwähnt. GH